Serie „Namenspatenschaft“ – Werner vor Melle: Die Universität als Lebenswerk

28. Juli 2021

Edmund-Siemers-Allee, Anna-Siemsen-Hörsaal oder Von-Melle-Park: Gebäude und Straßen erzählen mit ihren Namen Geschichten, die eng mit der Universität Hamburg verbunden sind. 19NEUNZEHN beginnt mit dieser Ausgabe eine Serie, um die Personen hinter den Namen vorzustellen. Den Anfang macht Werner von Melle.

Werner von Melle war Erster Bürgermeister von Hamburg und gilt als Gründungsvater der Universität Hamburg. Geboren am 18. Oktober 1853 in eine Hamburger Kaufmanns- und Senatorenfamilie, nahm er vor allem auf die Bildungspolitik der Stadt Einfluss – und brachte 1913 den ersten Gesetzesentwurf für eine Universitätsgründung ein. Dieser wurde zunächst abgelehnt, aber nach dem Ersten Weltkrieg und der Revolution mit Änderungen 1919 angenommen. Bis zu seinem Tod am 18. Februar 1937 blieb von Melle der jungen Universität eng verbunden, die ihn 1921 mit dem Ehrentitel „Rector magnificus honoris causa“ auszeichnete – bis heute der einzige in ganz Deutschland. 1961 wurde der Hauptcampus nach von Melle benannt. Doch wer war der Mann hinter der Universitätsgründung?

Jurist und Kommentator

Werner von Melle war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der einflussreichsten Männer Hamburgs, doch sein Weg dorthin war nicht immer gradlinig: Er studierte nach dem Abitur am Johanneum ab 1873 Rechtswissenschaften in Heidelberg, Straßburg, Leipzig und Göttingen, 1876 absolvierte er das juristische Staatsexamen und ließ sich – nach einem halben Jahr Auslandsaufenthalt in England – als promovierter Anwalt in Hamburg nieder. „Die Arbeit hat ihn allerdings nicht erfüllt“, erzählt Myriam Isabell Richter. Die Wissenschaftshistorikerin der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung hat sich für die zweibändige Biografie „Mann – Stadt – Universität. Hamburg, Werner von Melle und ein Jahrhundert-Lebenswerk“ intensiv mit dem Universitätsinitiator beschäftigt.

Der wollte von Anfang an in die Politik – sein Vater war Senator der Hansestadt –, aber seine Bewerbungen um offizielle Posten wurden zunächst abgelehnt. „Das hat ihn wirklich geärgert, weil er das Gefühl hatte, nicht zum Zuge zu kommen, obwohl die Mitbewerber nicht unbedingt qualifizierter waren als er.“ Aufgeben war aber nicht die Sache Werner von Melles. Sein berufliches Tal als Advokat überwand er, indem er nebenbei publizierte und 1886 seine Tätigkeit als Redakteur bei den „Hamburger Nachrichten“ aufnahm. Er schrieb zu Themen des Rechts, beschäftigte sich aber auch mit Wirtschaftsfragen und der Politik.

Humanist und Wissenschaftsexperte

Von Melle kommentierte in der Presse auch die Entwicklungen in Hamburgs Wissenschaft. Dabei kam ihm eines zugute: „Er war von Kindheit an mit den Strukturen der Hansestadt und der Wissenschaft vertraut“, erklärt Richter. Durch die Familie hatte er früh Zugang zur Politik, „sein Großvater, Senator Heinrich Geffcken, galt als einer der gebildetsten Menschen der Stadt, dessen Sohn gehörte zu den ersten Professoren an der Straßburger Universität. Dadurch entwickelte von Melle eine klare Vorstellung von Bildung und Wissenschaft, vom wissenschaftlichen Betrieb und akademischer Freiheit“, so Richter. Schon im Elternhaus lernte er Professoren des Akademischen Gymnasiums – eines 1613 gegründeten Vorläufers der Universität – kennen; auch die Schule spielte eine entscheidende Rolle für sein Verständnis von wissenschaftlicher Arbeit, da er am Johanneum nach eigenen Interessen lernen konnte.

Politiker und Pragmatiker

Spätestens mit seiner Berufung zum Senatssyndicus – also zum Rechtsberater des Senats – 1891 und seinem Beitritt zum Präsidium der Oberschulbehörde im selben Jahr machte sich der Kaufmannssohn an eine Neugestaltung der Wissenschaftslandschaft in Hamburg. Das Akademische Gymnasium war 1883 geschlossen worden. Von Melles große Herausforderung wurde es, das seit 1837 bestehende Allgemeine Vorlesungswesen zu reformieren. Als Vorsitzender der Vorlesungskommission wertete von Melle die Einrichtung auf und holte zahlreiche externe Universitätsprofessoren für Vorlesungsreihen nach Hamburg. „Von Melles Akzent lag darauf, die historisch gewachsene Wissenschaft und praktizierte Forschung der Hansestadt allmählich zu professionalisieren und in eine institutionelle Form zu überführen“, erklärt Richter.

Weitere Schritte, die der inzwischen zum Senator ernannte von Melle initiierte, waren die Gründung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung 1907 und die Schaffung eines Kolonialinstituts 1908, das eigentlich in Berlin eingerichtet werden sollte. „Er wollte eine Universität, musste aber vorerst offen halten, wie genau diese Art von Hochschule oder Institution aussehen sollte.“ Von Melle, der 1915 Erster Bürgermeister wurde, wusste um die Befindlichkeiten der Kaufmannsstadt und schaute, „was sich zu welcher Zeit wo angeboten hat“. Richter bilanziert: „Ich würde sagen, es zeichnet ihn aus, dass er stets pragmatisch vorgegangen ist und gegen viele Widerstände immer den Weg des Machbaren gesucht hat, etwa mit der Bezeichnung der Bildungsangebote für Heimkehrer nach Kriegsende als ‚Universitätskurse‘.“ Im März 1919 wurde die Bürgerschaft zum ersten Mal demokratisch gewählt und war sozialdemokratisch geprägt. In dieser Konstellation wurde die Universitätsvorlage angenommen – gekoppelt an die gleichzeitig beschlossene Gründung der Volkshochschule.

Autor und PR-Profi

Für die Universitätsgründung leistete von Melle über Jahrzehnte in Hamburg echte Überzeugungsarbeit. „Von Melle war wie ein Motor, der immer arbeiten musste. Er war immer präsent“, so Richter. Er kümmerte sich persönlich um die Professoren, ließ Gutachten zu möglichen Universitätsformen erstellen und durch die Oberschulbehörde kontinuierlich zum Beispiel Frequenz, Alter und Beruf der Zuhörerschaft des Allgemeinen Vorlesungswesens statistisch erfassen. „Man wollte zeigen, dass die Stadt Bildung haben will“, erklärt Richter. Von Melles Name war so schon zu Lebzeiten untrennbar mit der Universität verbunden und ist es bis heute.

Das liegt auch daran, dass der Hanseat darauf bedacht war, die verfügbaren Informationen über ihn zu beeinflussen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Senat 1921 schrieb er 1923/24 in den zwei Bänden „Dreißig Jahre Hamburger Wissenschaft 1891–1921“ sein gesamtes öffentliches Wirken nieder; 1928 folgten seine „Jugenderinnerungen“, gewidmet seiner Frau Emmy, geb. Kaemmerer (1858–1931), die er 1880 heiratete und mit der er die drei Töchter Maria (1881–1963), Alida (1885–1967) und Emilia (1889–1958) hatte. Von Melle hinterließ zudem eine umfangreiche Briefkorrespondenz, die heute in der Staats- und Universitätsbibliothek einsehbar ist; über von Melle als Privat- und Familienmensch gibt es nur wenige Zeugnisse. Für Richter ist diese Fülle an vorausgewähltem Material Fluch und Segen zugleich: „Es ist alles offengelegt, es stimmt auch alles, aber es ist irgendwie doch arrangiert und man kommt nur schwer dahinter, wie von Melle abseits der öffentlichen Figur war.“